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Geschichte

150 Jahre Soziale Gerichtshilfe. Die Zahl der Jahre spricht für sich. Nur ein Verein, der von den Menschen, für die er geschaffen wurde, als bedeutsam und tatsächlich hilfreich empfunden wird, erreicht ein solches Alter. Katholisch-soziales Denken, aber auch der Versuch, Haftentlassene durch materielle Hilfestellung vor dem Rückfall zu bewahren, führten in den Jahren 1865/66 zur Gründung des Vereins durch den Politiker, Staatsanwalt und späteren Hofrat des Obersten Gerichts- und Kassationshofes Georg Lienbacher.

Nach den Statuten des Jahres 1866 war der Wirkungsbereich des Vereins auf Wien beschränkt. Der Vereinszweck bestand im Wesentlichen in der Vermittlung von Arbeit für entlassene Häftlinge. Die Finanzierung sollte durch die Jahresbeiträge der Mitglieder, Geschenke in Geld und Naturalien, Erträge von Stiftungen und Sammlungen sowie durch Zuschüsse staatlicher Einrichtungen gewährleistet sein. Mitglieder und Funktionäre kamen aus dem Bereich der Justiz, der Anwaltschaft und zahlreichen anderen Berufsständen. Die Tätigkeit der Funktionäre war eine ehrenamtliche. In den folgenden Jahrzehnten wurden die Statuten mehrfach den Bedürfnissen der Zeit und der jeweils geänderten Gesetzeslage angepasst. So wurde materielle Hilfe auch der schuldlosen, mittellosen Familie eines Inhaftierten und Hilfe auch aus der Haft Entlassenen im Falle von Freispruch und Einstellung des Verfahrens gewährt. Es wurden Prämien an Arbeitgeber von entlassenen Häftlingen gezahlt und Fürsorger angestellt.

Nach den vorhandenen Unterlagen (Akten bei der BPD Wien, Vereinsbehörde) scheint seit 1896 auch ein „niederösterreichischer Sträflings-Fürsorgeverein in Krems an der Donau“ auf, der von der Vereinsbehörde aktenmäßig vorübergehend zusammen mit dem in Wien ansässigen Verein behandelt wurde. Den Ersten Weltkrieg, das Ende der Donaumonarchie und die schwierigen zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts hat der Verein offenbar unbeschadet überdauert. Der Verein finanzierte sich nach dem Ersten Weltkrieg zunächst aber vor allem nur mehr aus den Beiträgen seiner Mitglieder. Zu den Zwecken des Vereins zählte jetzt auch die Errichtung von Werkstätten, Heimen und Asylen.

Im Jahre 1935 hatte der Verein 680 Mitglieder. Mit 31.12.1935 wurden 6.218 Personen „befürsorgt“. 2.428 Personen wurden Geldaushilfen gewährt. Sonst wurde durch Vorsprachen bei Behörden und Vermietern geholfen. 1935 erhielt der Verein Subventionen vom Bundesministerium für Justiz, der Gemeinde Wien und Zuschüsse aus den Erträgnissen der Staatslotterie. Die Mitgliedsbeiträge machten nur mehr einen geringen Teil der Eingänge aus.

Als im Jahre 1938 Österreich ein Teil des Deutschen Reiches wurde, musste der Verein, um zu überleben, seine Satzungen auf das Führerprinzip umstellen, den Arier-Paragraphen einführen, sich der Aufsicht des Leiters des „Deutschen Reichsverbandes für Straffälligenbetreuung und Ermittlungshilfe e.V., Berlin“ unterstellen sowie dessen Weisungen befolgen. Danach wurde ab 1940 auf Weisung aus Berlin Dr. Johann Stich, Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Wien, zum Vorsitzenden des Vereins gewählt. Über die Tätigkeit des Vereins während des Zweiten Weltkriegs wissen wir nichts. Einem Schreiben des katholischen Anstaltsseelsorgers Monsignore Eduard Köck aus dem Jahre 1947 an die Sicherheitsdirektion Wien ist lediglich zu entnehmen, dass der Verein während der Kriegszeit aus der Haft Entlassene und mittellose Familien Verhafteter unterstützt hat.

In den Jahren 1947/1948 wurde der Verein wiederbelebt und es wurden die Statuten, wie sie bis 1938 gegolten hatten, im Wesentlichen wieder in Kraft gesetzt. Das Protokoll über die Generalversammlung vom 30.1.1948 zeigt, wie groß das Interesse der Justiz an der Neuausrichtung des Vereins war. Als Präsident des Vereins sind dort Dr. Otto Nahrhaft, Präsident des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, Staatsanwalt Dr. Wolfgang Lassmann als geschäftsführender Direktor, Regierungsrat Max Birnstein als Vizepräsident des Vereins, ausgewiesen. In weiteren Funktionen scheinen Namen von Richtern, Staatsanwälten, Anstaltsleitern und Angehörigen der Justizwache sowie auch der Name eines Redakteurs auf.

1951 ist in den Unterlagen der Vereinsbehörde erstmals der Name Dr. Wolfgang Doleisch – damals Richter, später Abteilungsleiter im Bundesministerium für Justiz - als geschäftsführender Direktor des Vereins zu finden. Dr. Doleisch hat in den folgenden Jahrzehnten das Bild des Vereins bestimmend geprägt. In dieser Zeit bezog der Verein seine finanziellen Mittel vor allem aus der Verpachtung von Gerichtsbuffets. Überdies übernahm der Verein zwischen 1956 und den späten Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts Schutzaufsichten, eine Tätigkeit, die später Kernaufgabe der Bewährungshilfe (heute Neustart) wurde. Sektionschef Dr. Doleisch blieb bis 1992 geschäftsführender Direktor. Es folgte ihm Hofrat Dr. Christian Kuhn, katholischer Anstaltsseelsorger in der Justizanstalt Wien-Josefstadt, der diese Funktion derzeit noch ausübt.

Der Verein hat zurzeit etwa 50 ehrenamtliche Mitarbeiter/innen, die nicht nur in Wien, sondern auch in Justizanstalten in ganz Österreich tätig sind. Schwerpunkte ihrer Tätigkeiten sind Hilfestellung während der Haft, Begleitung bei unbewachten Ausgängen, Hilfe bei der Arbeits- und Wohnungsbeschaffung sowie Betreuung von Entlassenen nach oft langjähriger Haft. Die finanzielle Basis des Vereins hat sich sehr verändert. Die Verpachtung von Gerichtsbuffets musste auf Grund geänderter Verhältnisse mit Ausnahme des Buffets im Landesgericht für Strafsachen Wien-Josefstadt aufgegeben werden. Der Verein bezieht heute die finanziellen Mittel für seine Aktivitäten aus einem Leistungsvertrag, der mit der früheren Vollzugsdirektion im Jahre 2010 abgeschlossen wurde, sowie aus Subventionen des Bundesministeriums für Justiz und eben der Verpachtung des einzigen verbliebenen Gerichtsbuffets. Diese Mittel werden benötigt, um einerseits allfällige Spesen (Reisekosten) der ehrenamtlich tätigen Mitarbeiter/innen zu decken, und andererseits in dringenden Notfällen Aushilfen an Entlassene zu gewähren. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Vereins werden sorgsam ausgesucht, kommen aus den verschiedensten Berufen und sprechen zum Teil mehrere Fremdsprachen. Sie werden bei ihren Aktivitäten durch regelmäßige Supervisionen begleitet. Das Verhältnis des Vereins zur Justizwache ist im Wesentlichen spannungsfrei. Die Justizwache hat längst die Bedeutung des Vereins auch für ihre Arbeit erkannt.

In den 150 Jahren des Bestehens des Vereins haben sich die äußeren Verhältnisse in einem kaum vorstellbaren Ausmaß geändert. Dem Verein ist es immer gelungen sich anzupassen, ohne seine humanistische Grundhaltung aufzugeben, und seine Aufgaben nach Möglichkeit zu erfüllen. Dies auch in den schwierigen Jahren 1938 bis 1945. Die gesetzlichen Bestimmungen über die Untersuchungshaft sowie den Straf- und Maßnahmenvollzug sind wieder im Fluss. Es werden für den Verein neue Aufgaben entstehen. Er wird sich darauf einstellen und mit seinen ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen, sofern eine ausreichende finanzielle Basis vorhanden ist, im Interesse der Justiz und damit der österreichischen Bevölkerung mit gewohntem großem persönlichem Einsatz weiterhin tätig sein.